Text zu Stadt der Zukunft / text about Future City

Bedeckter Himmel

Vor 30 Jahren drehte Ridley Scott zur Markteinführung des Apple Macintosh einen bezeichnenden, fast zynischen, Werbespot: In mechanischem Gleichschritt marschieren Menschen in Reih und Glied, um in einer großen Halle die Worte einer gigantischen männlichen Figur auf einem großen Bildschirm zu verfolgen. Es erscheint eine sportliche junge Frau und schleudert einen Vorschlaghammer auf den Bildschirm, dieser zerbricht und es erscheint die Ankündigung des neuesten Produktes: „Am 24. Januar wird Apple den neuen Macintosh einführen. Und ihr werdet sehen, dass 1984 nicht wie 1984 ist.“

Es erscheint aus heutiger Sicht als pure Ironie, dass es eben aber gerade dieser Konzern war, der das Instrument der totalen Überwachung einführte. Denn genau 30 Jahre später wurden die intuitiv zu bedienenden Smartphones von Apple zu den neuen Instrumenten der Spionage. Und wie aus den Unterlagen des Whistleblowers Edward Snowden hervorging, bezeichneten Mitarbeiter der National Security Agency (NSA), des größten Auslandsgeheimdienstes der USA, den verstorbenen Apple-Gründer Steve Jobs als „Big Brother“ und iPhone-Benutzer als „Zombies“.

In den Werken von Friederike Klotz spielen solche gesellschaftlichen Zukunftsvisionen eine große Rolle. Sie fängt diese Ideen in den unterschiedlichsten Medien ein: In geschichteten Zeichnungen, Klang-basierten oder kybernetischen Skulpturen. Frühere transparente Objekte sind zugleich Innen- und Außenräume und stellten damit Fragen nach der gegenseitigen Durchdringung des Privaten und des Öffentlichen. Ihre Objekte beschäftigen sich darüber hinaus mit dem System der Disziplinierung durch ständige gegenseitige Beobachtung. In ihren Arbeiten wird der Betrachter zum Mitwisser und Mitspieler. Friederike Klotz regt dadurch zum Nachdenken über Identität und die Verortung des eigenen Selbst im Kollektiven an.

Stets spielen ökologische und ökonomische Überlegungen eine Rolle: So recycelt die Künstlerin Verpackungsmaterial und erschafft daraus auch die Stadtmodule, deren Fundamente auf einer Membran ruhen, unter der sich wiederum ein Lautsprecher befindet. Durch die Schwingung der Membran geraten die Figuren in der Stadt in Bewegung. Sie irren inmitten der Gebäude umher, getrieben und manipuliert vom Klang innerhalb des Resonanzkörpers. Wenngleich dieses Stadt-System die verschiedenen Funktionen – wie Privat- und Sozialbereiche, Konsum-, Steuerungs- und Überwachungsareale – deutlich voneinander trennt, lebt man hier in völliger Auflösung alles Privaten, denn alle Wände sind transparent. Der Rhythmus eingespielter Agitationsmusik (stark verlangsamte Nationalhymnen), zu der die winzigen Bewohner in Schwingung versetzt werden, ruft streng hierarchisch gesteuerte Gesellschaftssysteme in Erinnerung und führt zugleich deren ideologisches oder Wirtschaftlich-Zweckrationelles ad absurdum. Mit ihrer detaillierten Planung bergen solche Modelle auch ein hohes Maß an sozialer Kontrolle und damit die Gefahr der Entstehung totalitärer Herrschaftsstrukturen. Der schmale Grat zwischen reibungsloser Funktion und absoluter Kontrolle wird hier deutlich.

Friederike Klotz entwirft ihre futuristischen Siedlungssysteme als Dystopien. Unter völliger Preisgabe alles Privaten dominiert das Öffentliche, wird der Einzelne zum Teil des Kollektivs, die Stadt zur hocheffizienten, ökonomischen Einheit und die Landschaft zu einem unentrinnbaren Ort. Die „Utopie“ ist zu einem kontroversen Begriff geworden, dessen Widerspruch zwischen idealisierter Gesellschaft und gesellschaftlichem Alptraum schwankt. Wir kennen zahlreiche literarische Annäherungen an dieses Thema. Von Thomas Morus über den Dominikaner Tommaso Campanella, über Kapitän Charles Johnson oder Etienne Cabet bis hin zu Aldous Huxley und etwas aktueller Christian Kracht bewegen sich die Beschreibungen zwischen schwärmerisch-idealisierter, ironisch-sarkastischer Schilderung, bis hin zu deutlich gesellschaftskritischen Entwürfen, die als futuristische Spiegelungen der eigenen Gesellschaft fungieren. Dies geschieht vor allem in klassischen Science-Fiction Romanen von Aldous Huxley, über Jewgeni Samjatin, Isaak Asimov hin zu Daniel F. Galouye. Dieser beispielsweise entwarf in „Simulacron-3“ die Vorlage zu Rainer Werner Fassbinders Film „Welt am Draht“. Darin wird in einer nicht allzu fernen Zukunft jedes Produkt, bevor es in Serienproduktion geht, ausgiebig auf seine Marktakzeptanz hin getestet. Zu diesem Zweck ermöglichen gigantische Computer eine nahezu perfekte elektronische Simulation der wirklichen Welt. Bevölkert wird sie von mehreren tausend individuell entwickelten elektronischen Kunden, die in der Illusion existieren, sich in der richtigen Welt zu bewegen. Doch eines Tages kommt der Gedanke auf, dass die vermeintliche Wirklichkeit nichts anderes sein könnte als eine Simulation.

Ähnliche Gedanken könnten uns befallen, wenn wir uns wie übergroße Beobachter, wie aus der „Satelliten-Perspektive“ über die kleinen Welten der neueren Werke der Künstlerin beugen. Verstärkt wird dieses Gefühl durch die Fresnel-Linsen, welche die geschichteten Städte und Landschaften in Kompartimente zerteilen oder unseren Blick wie durch einen Bildschirm in eine zweite Realität einzusaugen scheinen. Doch dieser Blick ist auch irritiert, so kommt es zu starken Beschleunigungen und psychedelischen Verzerrungen, wir beginnen uns zu bewegen. Der zunächst klare Blick in die konstruierte Welt eines Kunstobjektes, wird zu einer Standortbestimmung des Betrachters selbst.

Sandra Dichtl, künstlerische Leiterin Dortmunder Kunstvereinl

PEOPLE PLANTS BUILDINGS

30 years ago Ridley Scott directed a characteristic, almost cynical TV commercial for the launch of the Apple Macintosh: people mechanically marching in rank and file, in order to follow the words of a gigantic male figure on a screen, in a big hall. A sporty-looking young woman appears and flings a sledgehammer at the screen, which breaks, and an announcement shows up for the newest product: „on January 24, Apple will introduce the new Macintosh. And you will see that 1984 is not like 1984.“

From what we know today, it seems like the purest irony that it was precisely this company that brought out this instrument of total surveillance. For exactly 30 years later the intuitively easy-to-use smartphones from Apple have become the newest tool of espionage. And as the documents of whistleblower Edward Snowden show, workers for the National Security Agency (NSA), the USA’s biggest foreign-intelligence agency, labelled Apple founder Steve Jobs as „Big Brother“ and iPhone users as „zombies“.

In the works of Friederike Klotz, such visions of a future society play a significant role. She captures these ideas in the most diverse media: in layered drawings, sound-based or cybernetic sculptures. Formerly transparent objects are simultaneously in- and exteriors and thus pose questions on the mutual permeation of the private and the public. Her objects deal in addition to that with systematic discipline through constant reciprocal observation. In her works, the viewer becomes confidant and teammate. Friederike Klotz thus stirs one to reflect upon identity and the positioning of the self within the collective.

Ecological and economic considerations are always implicit: the artist recycles packaging for example, and in this way creates urban modules, the fundaments of which rest on a membrane with a loudspeaker underneath. Through the vibration of the membrane, the figures inside those modules begin to move. They wander between the buildings, driven and manipulated by the resonating sound. Although this city-construction clearly separates the different functions „such as private and social areas, consumption, control and surveillance areas – one lives here in the complete dissolution of everything private, since all the walls are transparent. The rhythm of the agitative music played (extremely slowed-down national anthems), to which the tiny citizens are set into motion, recalls strictly hierarchically regulated societies and reduces their ideological or economical rationale to absurdity. With their detailed planning, such models also contain a high degree of social control and therefore the danger of the development of totalitarian hegemonies. Here the thin line between trouble-free functionality and absolute control becomes clear.

Friederike Klotz designs her futuristic settlements as dystopias. Through the full exposure of all that is private the public dominates; the individual becomes part of the collective, the city a highly efficient economic entity. „Utopia“ has become a controversial term, the contradiction of which ranges between ideal society and social nightmare. There are many literary approaches to this theme. From Thomas More, to the Dominican Tommaso Campanella, from Captain Charles Johnson or Etienne Cabet to Aldous Huxley and the somewhat more contemporary Christian Kracht, the descriptions range from enthusiastically idealist and ironically sarcastic portrayals to clear conceptions of social critique that act as futuristic reflections of their respective societies. This happens especially in classic science fiction novels by Aldous Huxley, Yevgeny Zamyatin, Isaac Asimov, and Daniel F. Galouye. He, for example, created in ‚Simulacron-3‘ the source material of Rainer Werner Fassbinder’s „World on a Wire“. In it, in a not so far away future, every product is thoroughly tested for market acceptance before it is put into mass production. To achieve this, gigantic computers enable an almost perfect electronic simulation of the real world. It is inhabited by several thousand individually developed electronic customers, who live with the illusion of being in the real world. But one day the thought arises that supposed reality might be nothing other than a simulation. Similar thoughts might afflict us, when we as oversized observers, as if from a „satellite perspective“, bend over the little worlds of the artist’s newer works. This feeling is amplified through Fresnel lenses, which divide the layered cities and landscapes into compartments, or seem to suck in our gaze as though through a screen into a second reality. But this gaze is confused at the same time, it comes to strong accelerations and psychedelic distortions, we begin to move. The initially clear sight into the constructed world of an art object, becomes an ascertainment of position for the viewer themselves.

Friederike Klotz (* 1966 in Berlin) studied sculpture under Bruno Gironcoli (1936-2010) at the Academy of Fine Arts in Vienna. 2010 she won the prize of the Triennale Kleinplastik Fellbach (triennal for small sculpture). Friederike Klotz lives and works in Berlin.

Sandra Dichtl, künstlerische Leiterin Dortmunder Kunstvereinl

Text zu den Stereoskopien / text about stereoskopie

Ausgehend von sehr detaillierten, bühnenbildartigen Arrangements aus collagierten Foto- und Pflanzenelementen sind nun 3D-Bildapparate entstanden, für die einzelne Elemente in einem mühevollen Verfahren immer wieder neu fotografiert werden mussten, um die gewünschte Raumillusion zu erzeugen.

In ihnen wird beim Hinzutreten über spitzwinklig arrangierte Spiegel ein „mittleres Bild“ konstruiert, das in verschiedene, fließend ineinander übergehende Raumschichten aufbricht. In ihnen herrscht eine verkehrt-richtige Welt: Was in der realen Welt der Nachrichten, Fakten und politischen Entscheidungen große Bedeutung hat – Staatslenker, Bosse, Entscheidungsträger – findet sich als zweidimensionale Figurengruppe in einen wuchernden und überdimensionierten Pflanzendschungel versetzt. So werden etwa Jacques Chirac, Gerhard Schröder und George W. Bush in einem geschichtsfreien Urwaldraum transportiert.

Hat man sich erst einmal der einfachen Konstruktion angenähert und sich dahingehend überwunden, dass man dem Bildobjekt ungewohnt nahe kommen muss, dann werden die Dimensionseffekte durch eine extreme Vergrößerung bzw. eine dramatische Verringerung des zugrunde gelegten Augenabstands im Vordergrund noch erheblich verstärkt.

Aber es geht in diesen Bildern von Friederike Klotz bei weitem nicht nur um Immersionseffekte – man kann die dreidimensional und farbenprächtig wuchernden Blüten und Blätter zwar als Paradiesbild interpretieren, aber wenn man einmal die Vertauschung der Größenverhältnisse nachvollzogen hat, erweist sich: Wenn es überhaupt ein Paradies gibt, dann wird es gerade in diesem Moment im Auge und im Gehirn des Betrachters konstruiert. “

Clemens Krümmel

Text zu den Stereozeichnungen / text about stereodrawing

Tauchfahrten – Zeichnung als Reportage

Für die Ausstellung „Tauchfahrten“ ist nun eine Serie von Raum-Zeichnungen entstanden, die sich, wie die bisherigen Stereoarbeiten, in der Simulation greifbarer Tiefenräumlichkeit versucht. Die über die Spiegelapparatur wahrnehmbaren Zeichnungen werden dabei von Skizzen und Arbeitsmaterialien begleitet. Bemerkenswert ist hier die erweiterte Präsentationsform: auf einem Tisch liegen die einzelnen Zeichnungen zur Ansicht verteilt, so dass die prozessuale Dimension dieser Versuchsanordnung sichtbar wird. Die unterschiedlich anfallenden Arbeitsschritte werden offen gelegt, denn nicht jede Darstellung eignet sich für den stereoskopischen Effekt, vieles bleibt Experiment.

Die Techniken der Zeichnung variieren; Bleistift auf Transparentpapier, Filzstift auf Folie und andere Verfahren versuchen verschiedene Möglichkeiten auszuloten. Eine starke Linienführung setzt einen Schwerpunkt, der de Prinzip einer reduzierten Ausdrucksweise folgt. Wir sehen vorwiegend öffentliche, menschenleere Innenräume. Sie wirken befremdlich, da wir diesen Orten eine feste soziale Determiniertheit zuschreiben, die in den schematisierten und verwaisten Raumtopografien verloren gegangen zu sein scheint. Dieser visuelle Eindruck der Haltlosigkeit verstärkt sich durch die unmittelbare körperliche Präsenz des Betrachters, die den realen Ausstellungsraum ausblendet. Das Bedürfnis, des Gegenstands aus nächster Nähe im Bild, vielmehr im Abbild, habhaft zu werden, wie Walter Benjamin feststellt, stößt in den von Klotz zitierten Räumen plötzlich auf Grenzen. Der Glaube, mehr vom Gegenstand über eine Apparatur zu erfahren, wird von der Leere der Räume zurückgewiesen. Das Bild spiegelt das Begehren wider, allerdings von der Irritation des Aufenthaltes im suggerierten dreidimensionalen Raum begleitet. Die BetrachterIn ist erneut auf sich selbst angewiesen. Die „Wahrheit“ des technischen Sehens stellt sich als weitere Illusion dar, als Alternative sind wieder die eigenen Vorstellungsbilder gefragt, angereichert durch eine neue Raumerfahrung.“

von Franziska Lesák aus Tauchfahrten-Zeichnung als Reportage, Richter Verlag 2005

Tauchfahrten – Zeichnung als Reportage / Diving Trips

For the exhibition „Tauchfahrten / Diving Trips“, a series of spatial drawings has emerged that, like former work of the artist, explores the simulation of a perceptible sense of depth. The drawings perceived through the mirror apparatus are accompanied by sketches and working material. Notable here ist he extended form of presentation: the individual drawings are spread out on a table, making the processual dimension of this experimental set-up visible. The various steps in the process are exposed, for not every depiction is appropriate for the stereoscopic effect; a great deal remains an experiment. The techniques of drawing vary: graphite on transparent paper, felt-tip on plastic transparency and other techniques attempt to sound out the various possibilities. Strong lines set an emphasis following the principle of a reduced mode of expression. We primarily see desolate, public interiours. They seem strange, since we attribute to these sites a fixed social determination that seems to have been lost in these schematized and orphaned spatial topographies. This visual impression of instability is amplyfied by the direct physical presence of the beholder, blocking out the actual space of exhibition. The need to take possession of the object in the immediate vicinity by way of the image, as noted by Walter Benjamin, suddenly reaches its limit in the space cited by Klotz. The belief that more can be found out about the object by way of using the apparatus is contradicted by the emptiness of the space. The image reflects this desire, but accompanied by the disconcerting feeling of beeing part of the suggested three-dimensional. The observer is again left to his or her own wits. The „truth“ of technical vision proves yet another illusion: instead, the beholder again needs to rely on his or her own imagination, enriched by a new spatial experience.“

von Franziska Lesák ,Tauchfahrten-Zeichnung als Reportage, Richter Verlag 2005

„Marabus“ / text about clairvoyance

“ Als „religiöse Kleingewerbetreibende“ im Sinne von Max Weber arbeiten die Marabuts in Paris auf eigene Rechnung.

Jeder ist sein eigener Herr und Meister und berät seine Kunden, entsprechend seiner jeweiligen Situation, in einem Zimmer im Arbeiterwohnheim, in einem winzigen Appartement oder in einer geräumigen Praxis.

Während einige an afrikanischen Gepflogenheiten festhalten und ihre Klientel auf dem Wege der „Mund zu Mund“ Propaganda rekrutieren, haben andere schon sehr früh unterschiedlichste Werbestrategien eingesetzt: Handzettel und Visitenkärtchen, die sie in den Straßen verteilen, Werbung im Rundfunk und neuerdings sogar auf eigenen Internetseiten.

Jedem steht es schließlich frei sich im Rahmen seiner Möglichkeiten fortzubilden und seine Kenntnisse entsprechend den iegenen Vorlieben und Notwendigkeiten zu erweitern, sei es, dass er sich auch weiterhin auf sein islamisch-afrikanisches Erbe konzentriert, sei es, dass er sich anderen Kulturpraktiken zuwendet, wie der jüdischen Kabbale, der Radiästhesie, Tarotkarten u.ä….“

Aus: Sein Glück versuchen – Afrikanische Marabuts in Frankreich Katalogbeitrag von Liliane Kuczynski zur Ausstellung Black Paris-Kunst und Geschichte einer schwarzen Diaspora. Peter Hammer Verlag, 2006